Morgens, als ich mein Fahrrad aus dem Fahrradkeller des Lungomare Fahrrad Hotel Anzug gibt es eine Menge Aufregung um mich herum. Das kommt nicht von ungefähr. Heute werden wir nicht nur einen Teil der Tour-Route 2024 fahren. Wir tun dies auch mit einem großen Radsportler. Bernard Hinault, fünffacher Tour-Sieger, Gewinner des Giro, der Vuelta, von Paris-Roubaix und heute vor allem das Gesicht der Tour de France-Organisation, wird mit uns fahren. Le Blaireau" (oder Krawatte) steht bei der Tour der Männer immer auf dem Ehrenpodest und gilt auch als der letzte der Großen (in einem Namen mit Eddy Merckx, zum Beispiel). 2024 wird die Tour de France zum ersten Mal in der Emilia-Romagna starten und heute werden wir sehen, was die Organisation auf Lager hat. Unsere Etappe ist eine Radstrecke von Cesenatico nach San Marino, mit mehreren Anstiegen. Die Aufregung ist also nicht umsonst!
Emilia-Romagna ist Marco Pantani
In Italien ist es nicht möglich, die Worte Radsport und Emilia-Romagna in einem Satz zu erwähnen, ohne an Marco Pantani zu denken. Pantani ist zwar nicht mehr unter uns, aber man kann seine Präsenz immer noch sehen und spüren. Bei jeder Präsentation, bei jedem Wort über den Start der Tour in der Emilia-Romagna fällt sein Name, gefolgt von Applaus und Gesichtern der Teilnehmer, die sich für einen Moment zurückziehen. Der Verlust des großen Meisters bleibt spürbar. Besonders in Cesenatico, wo er geboren wurde und wo seine Familie noch immer lebt. Der Tourneestart 2024 ist eine Ode an 'El Elefantino', obwohl die Route de Carpegna überspringt. Die Erinnerung an Pantani ist vor allem am Haus seiner Eltern sichtbar. Über Hunderte von Metern steht 'Pantani' auf der Straße. Er wird schmerzlich vermisst und ich bin beeindruckt.
Europäischer Wettbewerb für Medienradsport
Unsere Gruppe besteht heute aus Journalisten. Viele Journalisten, aus Italien, Slowenien, der Slowakei, Österreich, Belgien, Frankreich und wir sind die niederländische Delegation. Alle wegen der Europäischer Wettbewerb für Medienradsportdie nun in ihre zweite Auflage geht. Auf dem Programm stehen der Radsport, der Besuch des italienischen Fahrradfestivals auf der Rennstrecke von Misano Adriatico und eine echte Europameisterschaft. In diesem Jahr geht es vor allem um die Förderung der Region Emilia-Romagna und den bevorstehenden Start der Tour. So berichtet auch Davide Cassani, ehemaliger Profi und wohnhaft in Faenza. Er ist teilweise das Gesicht der lokalen Organisation. Außerdem kennt er die Strecken wie seine Westentasche, das ist hilfreich.
Abseits des Strandes
Nicht ganz zufällig führt die heutige Route weg vom Strand. Die Emilia-Romagna hat eine atemberaubende Küste am Adriatischen Meer. Dieser Küstenstreifen wird seit Jahrzehnten für den Tourismus genutzt, mit endlosen Reihen von Strandliegen, Hotels, Campingplätzen und der dazugehörigen Infrastruktur. Die Region will vor allem auch den Tour-Start 2024 nutzen, um die Wende zu einer anderen Form des Tourismus einzuleiten. Das bestätigt auch Cassani, als wir mit ihm darüber sprechen: "mehr Nachhaltigkeit und gesunder Tourismus". Wahrscheinlich ist das der Grund, warum wir heute von Cesenatico aus direkt ins Landesinnere fahren. Wir wandern über einige schöne Anstiege nach San Marino und kehren dann wieder um. Eine Strecke, an der man sich die Finger lecken kann und die auf der 1. Etappe der Tour 2024 für ein Feuerwerk sorgen wird.
Aufmerksam sein
Der erste Teil der Strecke führt von Cesenatico aus durch kleine Dörfer mit Namen wie San Mauro Pascoli und wir passieren die Stadt Santarcangelo, die für ihr schönes mittelalterliches Zentrum bekannt ist. Der Turm ist zwar eingerüstet, aber die engen Gassen mit ihren bunten Häusern laden zu einer Pause ein, um einen Kaffee oder ein echtes "gelato italiano", ein Eis, zu genießen. Von der Burg aus hat man einen herrlichen Blick auf das umliegende Tal und kann in der Ferne die Ausläufer des Apennin sehen. Das ist wunderschön und macht Lust darauf, mehr von dieser Region zu sehen.
Heiliger Boden
Wir fahren über heiligen Boden. Dies war nicht nur Pantanis Trainingsgelände, sondern die Dörfer sind alle nach Heiligen benannt: San Michele, Sant'Andrea und wir fahren in Richtung des Heiligen San Leo. Die Straße beginnt langsam anzusteigen und man sieht immer mehr Agriturismi und Übernachtungsmöglichkeiten in den umliegenden Weinbergen. Wir beginnen mit einer kurzen Steigung nach Poggio Berni, einem Weiler mit einem bunten kleinen Platz. Kurze Anstiege sind hier immer noch die Devise, und man beginnt sie nach einer Weile zu spüren. Es wird viel geplaudert, und alle haben ihren Spaß. Vielleicht ist es die schöne Umgebung, die zu der guten Stimmung beiträgt. Auf jeden Fall gibt es viele lachende Gesichter, als wir den Gipfel erreichen.
Auf nach San Marino
Auf dem gesamten Radweg von Cesenatico nach San Marino können wir unser Mittagsziel bereits sehen. Etwa 900 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, thront San Marino wie eine uneinnehmbare Festung über dem Tal. Uneinnehmbar ist die Festung nicht, aber im Mittelalter war ihre Lage ein Vorteil. Heute ist sie vor allem eine wunderbare Herausforderung mit dem Fahrrad. Bevor wir dort ankommen, müssen wir einen weiteren Anstieg bewältigen. Wir biegen zunächst in Richtung San Leo ab, ein weiterer Pflichtanstieg, aber an einer Kreuzung biegen wir links nach Montemaggio ab. Von dort aus geht es auch wieder bergauf, und auf einer Art 'Zwischengipfel' fahren wir schnell hinunter und beginnen den längeren Anstieg zum Zwergstaat. Anders als z.B. Monaco oder der Vatikan besteht San Marino nicht nur aus der Stadt, sondern hat auch einige umliegende Ortschaften. Wir fahren über Chiesanuova hinein.
San Marino als Touristenattraktion
Der Aufstieg nach San Marino ist sehr schön. Man hat einen ständigen Blick über das Tal, und nirgendwo wird der Anstieg besonders steil. Es ist ein siebeneinhalb Kilometer langer Lauf, der schließlich auf dem zentralen Platz der Stadt San Marino endet. Dort ist ein Besuch des Rathauses (mit herrlichem Blick über das Tal) ein absolutes Muss.
Mittagessen - TV - und wieder zurück
Wir werden mit allem Respekt an unserem Mittagsplatz empfangen, wo ein typisch italienisches "Fingerfood"-Mittagessen zubereitet wurde. Oder sollte ich sagen San Marinese? Ein gewisser Stolz ist den Menschen in San Marino nicht fremd. Überall weht die blau-weiße Flagge, und ein bisschen stolz sind die Leute ja auch. RaiTV San Marino führt ein Interview mit Cassani und stellt einmal mehr die Frage: Pantani? Ja, wir alle vermissen ihn. Die Strecke ist fantastisch, die Emilia-Romagna glänzt wie nie zuvor, sagt er. Ich selbst nehme noch einen Bissen von meinem Mittagessen und erfreue mich an all den Touristen, die vorbeikommen. Alle lassen sich fotografieren und dann geht es in rasantem Tempo bergab. In Richtung Cesenatico, mit einem Zwischenstopp in Santarcangelo.
Abwärts geneigt
Von San Marino aus geht es steil bergab. Das Schild 18% lügt nicht. Hier geht es steil bergab und bald sehen wir weniger vom Tal und sehen mehr und mehr das Meer auf uns zukommen. Die Landschaft bleibt immer schön und im Hintergrund sind die Berge immer noch deutlich sichtbar. Verschiedene Weinberge, Bauernhöfe und kleine Dörfer bilden einen schönen Rahmen. Der Wind hat hier freie Hand und (wie passend) an einem Ort namens 'Ventoso' (windig) verlassen wir San Marino wieder. Weiter geht es nach Santarcangelo, wo wir einen weiteren Stopp für einen Kaffee einlegen werden.
Pantani lebt auch in anderen weiter
Santarcangelo habe ich bereits erwähnt, aber es ist wirklich eine stimmungsvolle Stadt. Wir biegen auf den Hauptplatz ab, mit Blick auf ein Triumphtor, die örtliche Schule und das Rathaus. Praktisches Detail: Hier gibt es eine Fahrradreparaturstation, so dass man noch etwas Luft in die Reifen schießen oder eventuell etwas mit einer Steckdose reparieren kann. Wir setzen uns auf einen Kaffee und wie aus dem Nichts kommt ein Mann auf uns zu. Eine typische Figur, würden wir sagen, aber es stellt sich heraus: Er ist der ehemalige Mechaniker von Marco Pantani. Die Begegnung ist nicht ganz zufällig. Es ergeben sich tolle Gespräche und alle italienischen Journalisten hängen an seinen Lippen, wenn er Geschichten aus alten Zeiten auskramt. Als er dann auch noch anfängt, die Beine zu inspizieren und "zu fühlen, ob es gute Waden sind", hake ich ein wenig ab. Pantani lebt in anderen weiter, aber das ist zu viel für diesen bodenständigen Holländer.
Eine letzte Ode
Auf einer kurvenreichen Strecke in Richtung Cesenatico biegen wir plötzlich auf Landstraßen und eine Art Kanal in Richtung unseres Heimathafens, dem Lungomare Bike Hotel, ab. Als wir fast am Ziel sind, biegen wir plötzlich links in eine etwas verlassene Straße ein. Weit davon entfernt, eine Sackgasse zu sein, verwandelt sich die Straße schnell in eine Hommage an den großen Abwesenden, an Marco Pantani. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, steht sein Name hier mehrfach auf dem Straßenbelag und eine kleine Gedenktafel erinnert an den verstorbenen Großen. Alle bleiben stehen und machen Fotos. Es fällt mir schwer, hier eine gute Haltung einzunehmen. Nach einem kurzen Halt geht es weiter in Richtung Heimat. Etwas mehr als 100 km stehen schließlich auf dem Zähler. Es war schön, es war nicht wirklich hart und das macht es zu einer netten Herausforderung für alle, die hier auf zwei Rädern Spaß haben.
2 Antworten
Super Geschichte San!
Was für eine wunderbare Erfahrung. Und eine Träne für die Erinnerung an Marco zu vergießen. Wunderschön geschrieben.
Das sind sicherlich schöne Erinnerungen an den "kleinen Elefanten".